Am 6. Juli vollendet S.H. Dalai Lama (hier zu sehen mit S.E. Chöden Rinpoche) das 80. Lebensjahr. Hoch soll er leben!
Wir Normal-Sterblichen stehen vor der Schwierigkeit, ein solch erfülltes Leben wie das S.H. des Dalai Lama angemessen zu würdigen. Schon die Anstrengungen eines einzigen normalen Arbeitstages seines Lebens würde die meisten von uns um Jahre altern lassen.
Als Bauernkind in eine einfache Familie geboren, wurde er zur Erfüllung der anspruchsvollsten und herausragendsten Position als geistlicher Führer der Tibeter herangebildet. Seit der Flucht aus dem besetzten Tibet ist er Hoffnungsträger seines Volkes und Landes, dessen Institutionen zerschlagen, ihre gelehrten Würdenträger misshandelt und dessen Kultur bis in die jüngste Zeit systematisch zerstört, gegängelt und unterdrückt wird. Seine Politik und Persönlichkeit gelten seit über 60 Jahren als Symbol für den unbedingten Willen zum Frieden. S.H. Dalai Lama setzt auf kontroversen Dialog; Missstände werden als solche benannt, und doch umfasst der Fokus S.H. Dalai Lamas immer auch den Blickwinkel der Gegenseite und deren Argumente.
Im Umgang mit schwierigen Personen und Persönlichkeiten wird man ihn immer als jemanden wahrnehmen, der mit aufrichtiger Offenheit, Interesse und Wohlwollen seinen Gegenübern begegnet, egal, wen er vor sich hat. Wer sich mit buddhistischer Philosophie befasst, der wird im Dalai Lama einen unvergleichlichen Lehrer und Fachmann finden, dessen öffentliche Unterweisungen an Brillanz alle Erwartungen übertreffen. Ich schreibe diese für manche vielleicht übertrieben klingende Lobeshymne hier aus tief empfundener Dankbarkeit, die auf Erfahrung beruht, und meine jedes Wort ernst.
Vor etlichen Jahren war es mir vergönnt, bei einer Audienz im Hotelzimmer S.H. Dalai Lamas dabei sein zu dürfen. Die Stimmung im Raum war etwas vergeigt, weil S.H. auf krude Anschuldigungen eines Interviewers vor uns hatte reagieren müssen, und so fand unsere bunt zusammengewürfelte Truppe einen ernsten, nachdenklichen und gesundheitlich sehr angeschlagenen Dalai Lama vor. Er fühlte uns als konvertierten Buddhisten auf den Zahn, und war von meinen Antworten nicht wirklich überzeugt. Er fragte, ob wir wüssten, dass er die Meinung vertritt, man solle bei seiner angestammten Religion, z.B. Christentum, bleiben. Das traf mich hart. Am nächsten Tag war ich bei einer Tibeter-Audienz zugegen, und S.H. Dalai Lama bat die Tibeter, ihre Kultur hochzuhalten und die Meister des Klosters Nalanda zu studieren. Ich brummte in meinen Bart: "Das waren alles Inder, und wenn die Tibeter bei ihrer angestammten Religion geblieben wären, würden sie alle immer noch Bön-Praktizierende sein." Aber dann sah ich, wie der erschöpfte Dalai Lama sich seinen Leuten wie ein Kuchen zur Verfügung stellte, alle durften an ihm herumzerren und sich was abschneiden, Fotos machen und ihn herumschieben, es war Herz-zerreissend. Welches Staatsoberhaupt würde das mit sich machen lassen?
Wenn man aus Wissen und Erfahrung heraus sich für die Lehre des Buddha entscheidet, kann einen selbst der Dalai Lama nicht davon abbringen. Im Gegenteil, seine berechtigten Vorbehalte ermutigen zu einer klaren, eigenen Entscheidung durch Überdenken. Im tibetischen Buddhismus heißt es, der "Pfauen-gleiche" Lehrer sei der beste. Hierzulande stutzt man über die Metapher, doch gemeint ist, dass ein Pfau von weitem vor dem Hintergrund des Waldes kaum auffällt, erst in der unmittelbaren Nähe erschliesst sich die überwältigende Schönheit seines Wesens. S.H. Dalai Lama ist ohne Zweifel einer der schillerndsten Pfaue unter den großen Persönlichkeiten des Buddhismus. Möge er noch lange zum Wohle aller Wesen mit seiner kraftvollen Heiterkeit das Licht der Wahrheit und der Liebe scheinen lassen.
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